
Wenn Wladimir Solowjow bei seinen beinahe allabendlichen Hasstiraden im russischen Staatsfernsehen einen westlichen Politiker oder ein Land besonders auf dem Kieker hat, dann darf man meistens davon ausgehen, dass auch der Kreml gerade besonders schlecht auf den Betreffenden zu sprechen ist. In den vergangenen Tagen traf es, nicht zum ersten Mal, Deutschland und Bundeskanzler Olaf Scholz. Der Moderator Solowjow baute sich, wie fast immer in einem guruhaften dunklen Rundhalshemd, vor Talkgästen und Publikum auf und beschimpfte Scholz als »Motte«, weil schließlich schwere Waffen aus Deutschland in der Ukraine eingetroffen waren. Solowjow zeigte ein Video, in dem Scholz bekräftigte, dass Deutschland die Ukraine unter anderem mit Waffen unterstützen werde, bis Putin seinen fatalen Fehler einsehe und den Krieg in der Ukraine beende.
»Hör zu, Scholz!«, wetterte der russische Propagandist als Antwort an den Bundeskanzler. »Den fatalen Fehler hat nicht Putin gemacht, sondern Gorbatschow, als er die Wiedervereinigung Deutschlands zugelassen hat – und Stalin, als er entschieden hat, dass Deutschland weiter existieren darf.« Man habe Raketen, die bis nach Berlin reichten, polterte Solowjow weiter. In der einseitigen Diskussion mit den üblichen kremltreuen Kommentatoren warf der Moderator an anderer Stelle die Frage auf, warum Russland Deutschland eigentlich noch mit Gas beliefere – und damit eine Industrie unterstütze, »die unsere Soldaten tötet«. Wie immer stimmten ihm die Herren zu.

Cholerische Ausbrüche als Markenzeichen
Wladimir Solowjow, 58 Jahre, ist vielleicht der größte Scharfmacher in der ersten Liga der Kremlpropagandisten. Zu diesem Kreis gehören auch Margarita Simonjan, die oft bei Solowjow eingeladene Chefredakteurin des Senders RT, und der Fernsehmoderator Dmitrij Kisseljof, der auch die staatliche Nachrichtenagentur Rossija Segodnja leitet. Unvorstellbare Drohungen – einschließlich der von Atomkriegen gegen die westliche Welt – haben alle drei schon von sich gegeben. Aber Solowjow poltert mit Abstand am lautesten. Sein ätzender Zynismus wechselt sich mit cholerischen Ausbrüchen ab, dabei scheint er jede Impulskontrolle zu verlieren.
Wegen Beleidigung und Verleumdung wurde Solowjow in Russland schon angeklagt. Kaum ein Monat vergeht, ohne dass er sich eine öffentliche Fehde mit russischen Prominenten liefert, die er verunglimpft hat. Die unabhängige russische Zeitung Nowaja Gaseta, die seit Beginn des Krieges die Arbeit in Russland einstellen musste, hatte einmal Videos von Auftritten Solowjows von einem Psychiater begutachten lassen. Er stellte unter anderem psychotische Entgleisungen fest.
Die Beschimpfung von Olaf Scholz als »Motte« war für Solowjows Maßstäbe harmlos. Er hat dem Bundeskanzler auch schon Schimpfworte an den Kopf geworfen, die sich als »Schweinehund«, »Drecksau« oder »Arschloch« übersetzen lassen. Noch vor Russlands Invasion in das Nachbarland Ende Februar brüllte Solowjow Scholz in seiner Internetsendung »Solowjow.Live« an, bei der er sich zwischen Ausschnitten von Politikeräußerungen allein in Rage redet. Solowjows Wutausbruch folgte auf ein Video, in dem Scholz die russische Propagandalüge, die Ukraine verübe im Donbass einen Genozid an russischen Bürgern, als lächerlich bezeichnet hatte. Der Propagandist brüllte anschließend, Scholz solle selbst in den Donbass fahren und sich dort unter anderem einen Gedenkstein für angeblich von der Ukraine ermordete russische Kinder anschauen.
Was Solowjow neben dem Tonfall von den anderen Propagandisten unterscheidet, ist seine Sendezeit. Niemand darf die russischen Fernsehzuschauer so ausdauernd mit Hasstiraden überschütten wie er. Die tägliche Talkshow »Abend mit Wladimir Solowjow« zieht sich über mehr als zwei Stunden. Zusätzlich moderiert er eine Handvoll anderer Sendungen im Fernsehen, im Internet und im Radio. In 2019 wurde Solowjow sogar ins »Guinnessbuch der Rekorde« aufgenommen, weil er in einer Woche mehr als 25 Stunden lang im Fernsehen moderiert hatte. Meistens ist Solowjows Meinung noch eine Handbreit weiter rechtsaußen als die der schlimmsten Kremlhardliner. Er hetzt die Russinnen und Russen auf und testet gewissermaßen die Stimmung der Bevölkerung für den Präsidenten. Während er sich früher an russischen Oppositionellen abarbeitete, konzentriert er sich in der jüngeren Vergangenheit auf die »äußeren Feinde«. Solowjow verleiht dabei einem inbrünstigen Hass gegen den Westen Ausdruck. Er äußert sich häufig nationalistisch, rassistisch und homophob. In einer treffenden Karikatur, die im Internet kursiert, wurde Solowjow einmal als ein Kampfhund dargestellt, den Wladimir Putin an der Leine führt.

In Vorbereitung auf den Krieg in der Ukraine hatte der Moderator seine antiukrainische Propaganda schon Wochen im Voraus auf die Spitze getrieben und hetzte gegen die angeblichen Neonazis in der Ukraine. Die EU setzte Solowjow folgerichtig auf die Sanktionsliste für Einzelpersonen wegen »Aktionen oder politischen Handlungen, die die territoriale Integrität, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine unterlaufen«. Obwohl er die Europäische Union bei jeder Gelegenheit verdammt und westliche Gesellschaften als Quelle allen Übels in der Welt identifiziert hat, besitzt Solowjow zwei noble Villen am Comer See in Norditalien. Im Rahmen der Sanktionen wurden diese von italienischen Behörden beschlagnahmt, was Solowjow dazu veranlasste, der EU die Verletzung von Eigentumsrechten vorzuwerfen. Kriegsgegner färbten zudem das Wasser im Pool eines der Anwesen in einem Akt des Protestes blutrot und spritzten rote Farbe auch auf die zartrosafarbenen Außenwände der Villa. Ein zweites Anwesen Solowjows soll laut Medienberichten aus Italien sogar in Brand gesteckt worden sein.
Angebliches Mordkomplott der Ukraine
Nicht nur sein Eigentum, auch der Propagandist selbst soll laut russischen Verlautbarungen seit Kriegsbeginn bedroht worden sein. Der russische Geheimdienst FSB behauptete Ende April, eine Gruppe von Neonazis festgenommen zu haben, die im Auftrag des ukrainischen Geheimdienstes Solowjow ermorden sollten . Die Festgenommenen hatten die Tatpläne angeblich zugegeben. Die Ukraine bestreitet die Vorwürfe. Unabhängige Medien wie das Internetportal Meduza stellten Recherchen zu den Verdächtigen an und stellten fest, dass mehrere von ihnen bereits in der Vergangenheit wegen Mordes verurteilt worden waren.
Wladimir Solowjow ist, auch das gehört zur Wahrheit, ein wahrscheinlich hochintelligenter Mann. Der gebürtige Moskauer absolvierte ein Studium zum Hütteningenieur am Moskauer Institut für Stahl und Legierungen mit Auszeichnung, promovierte am Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen und unterrichtete nach dem Zerfall der Sowjetunion an einer Universität im amerikanischen Bundesstaat Alabama. Solowjow bezeichnet sich selbst als einen erfolgreichen Geschäftsmann, der vergleichsweise spät zum Journalismus kam. Als Radiomoderator machte er, Ende der Neunzigerjahre zurück in Russland, jedoch schnell auf sich aufmerksam durch seine lebendige, engagierte Moderation.
Wie viele der heute bekannten russischen Propagandisten war auch Solowjow einst ein unabhängiger Journalist, der laut Recherchen der »Nowaja Gaseta« noch 2001 öffentlich davon sprach, wie wichtig diese Unabhängigkeit sei. »Es ist nicht am Präsidenten, zu entscheiden«, sagt Solowjow damals – und meinte die journalistische Berichterstattung. Er setzte sich für die Unabhängigkeit des russischen Privatsenders NTV ein, der damals vom staatlichen Gaskonzern Gazprom gekauft worden war.
Die Wandlung, die Solowjow anschließend durchgemacht haben muss, ist rückblickend schwer nachzuvollziehen. Klar ist, dass der Moderator heute und schon seit vielen Jahren dem russischen Präsidenten Putin gegenüber absolut loyal ist. Er hat von diesem mehrere Auszeichnungen erhalten. Solowjow durfte mit Putin 2015 auch ausführliche Exklusivinterviews führen, die Teil eines Dokumentarfilms über den russischen Präsidenten wurden. Bei einem anderen Film, über den italienischen Diktator Mussolini, führte Solowjow selbst Regie und trat als Erzähler auf. In dem 2013 ausgestrahlten Machwerk betreibt der Propagandist gewissermaßen die Ehrenrettung des Faschismus à la Mussolini, unterscheidet diesen scharf von Adolf Hitlers Nationalsozialismus – und zeigt ihn als einen Weg für Russland auf